Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Gefördert durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Gefördert durch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Überschrift
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Entwicklung der Opposition

Bulgarische oppositionelle Bewegungen sind in den 1980er Jahren sehr schwach. Die Situation ist nicht vergleichbar mit der in den anderen mittelosteuropäischen Ländern. Mit einem Anteil von mehr als 10% Parteimitgliedern an der Gesamtbevölkerung (DDR: 13,5%) hat die kommunistische Partei einen großen Einfluss.
Erst in den Jahren 1988/89 gründen sich verschiedene informelle Organisationen, denen es vorrangig um die Erneuerung der Gesellschaft geht. Konflikte mit dem System ergeben sich oft über Umweltprobleme.

Infografik

Am 10. Februar 1988 findet in Russe eine erste Demonstration gegen das Regime statt, als Mütter mit Kinderwagen durch die Stadt marschieren. Sie protestieren gegen die Umweltbelastung durch das auf der anderen Donauseite gelegene Chemiewerk im rumänischen Giurgiu und die Untätigkeit der eigenen Regierung bei der Lösung des Konflikts.

Quelle: Umweltblätter 4/1988
Quelle: Umweltblätter 4/1988

 

Exodus der Türken

Einen wichtigen Beitrag beim Zerfall des Regimes bildet der Widerstand der bulgarischen Türken und Pomaken. Auch sie gründen verschiedene Menschenrechtsorganisationen:

Infografik

Diese Organisationen erfahren aktive Unterstützung von bulgarischen Gruppen mit dem Ziel der Demokratisierung.
Mit Hungerstreiks und Demonstrationen wehren sich die Minderheiten gegen die Bulgarisierung. Im Mai 1989 kommt es in Nordostbulgarien zu den größten Demonstrationen mit 25-30.000 Teilnehmern. Die Konfrontation mit der Polizei fordert 9 Menschenleben und viele Verletzte.
Das Regime reagiert darauf mit Abschiebung und Aufhebung des Ausreiseverbots. Die Grenzen zur Türkei werden geöffnet.

Quelle: lostbulgariaAm 30. Mai 1989 beginnt der „große Ausflug“, wie der Exodus ethnischer Türken genannt wird. Als die Türkei das Flüchtlingsproblem nicht mehr bewältigt, werden am 21. August 1989 die bulgarischen Grenzen geschlossen.
In diesen knapp drei Monaten verlassen etwa 370.000 Menschen Bulgarien.

 

Die erzwungene Massenausbürgerung führt zu einer sozialen und wirtschaftlichen Destabilisierung Bulgariens. Das internationale Ansehen des Landes nimmt erheblichen Schaden.

 

Der stille Sturz

Ab Ende Juli 1989 nehmen sich die Medien die Freiheit über die Unabhängigkeitsbewegungen in Ungarn, Polen und im Baltikum zu berichten. Das Informationsmonopol der kommunistischen Partei wird dadurch gebrochen, indem sich die Menschen Satelliten-Anlagen montieren und jetzt internationale Sender auf Bulgarisch sehen und hören können (Deutsche Welle, BBC, Radio Free Europe).

Seit dem 14. Oktober 1989 sammeln Aktivisten von Ekoglasnost Unterschriften gegen ein Staudammprojekt („Rila-Mesta“) im Rila-Gebirge. Trotz massiver Übergriffe durch die Polizei kommen über 11.000 Unterschriften zusammen.

Blick vom Musala (2925m) – dem höchsten Berg im Rila-Gebirge | Quelle: lostbulgaria
Blick vom Musala (2925m) – dem höchsten Berg im Rila-Gebirge | Quelle: lostbulgaria

Die Übergabe der Petition mit den Unterschriftenlisten an die Nationalversammlung am 3. November ist verbunden mit einer Demonstration von 4.000 Menschen vor dem Gebäude. (Quelle: net-film)

 

Am 9.November fällt die Berliner Mauer. Die bulgarischen Medien bringen nichts darüber. In Absprache mit Moskau kommt es einen Tag später zum „Putsch“ des Zentralkomitees und dem „stillen“ Sturz Schiwkows.

Quelle: lostbulgaria
Quelle: lostbulgaria

Petar Mladenow (l.), seit 1971 Außenminister und seit Jahrzehnten Parteikader, verliest am 10. November 1989 die Absetzungserklärung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Damit wird Schiwkow (r.) zum Rücktritt gezwungen. Mladenow wird neuer Generalsekretär der Partei und Vorsitzender des Staatsrates.
Beide Ämter werden im April 1990 abgeschafft und Mladenow wird Staatspräsident.
Die alten kommunistischen Eliten steuern die Demokratisierung Bulgariens.

Quelle: lostbulgaria
Quelle: lostbulgaria

 

(Nicht-) Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur nach 1989

Leipzig, Januar 1990 | Quelle: ABL / B. HeinzeLeipzig, Januar 1990 | Quelle: ABL / B. Heinze

In Ländern wie Polen, der Tschechoslowakei und der DDR wurde der politische Umsturz von einer breiten Bewegung getragen. Unmittelbar nach der Zerschlagung ihrer Systeme begann hier die Aufarbeitung der Vergangenheit.
In Bulgarien blieb ein solcher Prozess nahezu vollständig aus.

 

Zwar führten die Demonstrationen 1989 und 1990 auch in Bulgarien zu einem Systemwandel, jedoch nicht zum Austausch der politischen Elite. De facto regierte die Kommunistische Partei Bulgariens, ab April 1990 unter dem Namen „Bulgarische Sozialistische Partei“ (BSP), das Land in verschiedenen Koalitionen weiter. Die personelle Verstrickung vieler Amtsträger mit der Staatssicherheit im kommunistischen Bulgarien führte dazu, dass viele Aktenbestände vernichtet bzw. Einsichtnahmen und damit Aufarbeitung verhindert wurden.
300.000 Bulgaren waren in irgendeiner Form für den Geheimdienst tätig, d.h. auf 26 Menschen kommt einer von der Staatssicherheit (Albanien 28:1, DDR 63:1).

Erst die seit 2004 geführten EU-Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien und der Beitritt 2007 brachten Bewegung in den Umgang des Landes mit seiner Geschichte.

Im Oktober 2012 (!) wird die erste Ausstellung, die sich mit dem kommunistischen Bulgarien kritisch auseinandersetzt im Staatsarchiv Sofia eröffnet. Die zweisprachige Wanderausstellung ist auch in Deutschland zu sehen.

Tot oder lebendig - Flucht fernab der DDR

In der DDR erfährt man wenig über geglückte oder misslungene Fluchtversuche über Bulgarien. Auch die Westmedien berichten kaum etwas darüber. Daher verbreitet sich in der DDR die fatale Vorstellung, es sei weniger gefährlich, über Bulgarien „abzuhauen“. Durch die geografische Entfernung wähnt man sich außerdem weit weg der DDR-Kontrolle.

Themenblock Bulgarien

Sonne garantiert – Die „Riviera“ der DDR

In Bulgarien gewinnt der Fremdenverkehr als Wirtschaftsfaktor seit Beginn der 1960er Jahre zunehmend an Bedeutung. Beträgt die Zahl ausländischer Touristen 1960 noch 150.000, kommen 1967 bereits 1,6 Millionen nach Bulgarien – eine Verzehnfachung innerhalb von nur sieben Jahren. 43 Prozent von ihnen stammen aus dem westlichen Ausland und bringen die begehrten Devisen mit.


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